In der Eröffnungskeynote erläuterte Dr. Kurt Schmalz, geschäftsführender Gesellschafter der J. Schmalz GmbH aus Glatten, dass die marktführende mittelständische Unternehmensgruppe bestehende Produkte und Verfahren kontinuierlich weiterentwickelt und neueste Technologien schnell adaptiert. Das wiederum ermöglicht es dem Unternehmen, eine globale Vorreiterrolle im Bereich wettbewerbsfähiger und umweltneutraler Produktion einzunehmen. Treiber der erfolgreichen Produktinnovationen ist die Tatsache, dass gelebte Nachhaltigkeitsansätze bereits seit Jahrzenten eine zentrale Säule der Unternehmenskultur darstellen. Schmalz präsentierte ausserdem aktuelle Forschungsprojekte, an dem sein Unternehmen beteiligt ist, wie das Projekt ReduCO2 als Teilprojekt von H2BlackForest, in dem die Nutzung von Wasserstofftechnologien in der Region Nordschwarzwald erforscht und weiterentwickelt werden.
Standort sichern
Dass Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft nicht nur für das gesunde Fortbestehen auf diesem Planeten notwendig, sondern auch eine unternehmerische Pflicht ist, um sich zukunftsfähig aufzustellen, zeigte Maximilian Bronner, Geschäftsführer Produktion und Technik fischerwerke GmbH. "Unter dem Druck steigender Kosten sowie dem Mangel an qualifizierten Mitarbeitern ermögliche eine effizientere Produktion mit schlanken Prinzipien die Aufrechterhaltung des Standorts Deutschland", mahnte er. Bei fischer werden aus diesem Grund Lean-Prinzipien im fischer Prozesssystem beschrieben (fPS) und bei Prozessverbesserungen nachhaltig integriert. Die Varianz der Endprodukte wurde zudem um mehr als 70 Prozent reduziert, was sich positiv auf Bereiche wie Flächenproduktivität, Energieeffizienz und Produktionskosten auswirkt. Gleichzeitig trieb fischer die Digitalisierung der Produktion voran, wodurch Steuerungsprozesse und Fertigung transparenter wurden. "Die Transparenz schafft die Grundlage für eine fortschreitende Entwicklung im Sinne des Lean-Gedankens über die bekannten Grenzen hinaus", so Bronner.
Kautschuk effizienter verarbeiten
Der WGP-Jahreskongress gibt traditionell Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern die Möglichkeit, ihre Forschungsergebnisse der Öffentlichkeit zu präsentieren. In diesem Jahr wurden insgesamt 74 Paper ausgewählt, die als besonders vielversprechend angesehen werden. So berichtete Marco Lukas vom Institut für Transport- und Automatisierungstechnik (ITA) der Leibniz Universität Hannover, wie mithilfe von Data-Mining die Temperatursteuerung des Kautschuk-Extrusionsprozesses hinsichtlich Effizienz und Nachhaltigkeit optimiert werden kann. Für die Produktion insgesamt bedeutet das sowohl eine Reduktion des Abschusses durch präzise Steuerung sowie eine Reduktion der ersten Testzyklen von neuen Produkten und erforderlichem Personalbedarf. Die Methode findet unter anderem Anwendung in Kautschukextrusions-Prozessen und Kautschukmisch-Prozessen, kann aber auch auf weiterführende Prozesse übertragen werden. Zum jetzigen Zeitpunkt wurde das Steuerungssystem erfolgreich auf einer Forschungs-Extrusionsanlage implementiert und validiert. Sobald die Prozesse der jeweiligen Unternehmen über entsprechende Sensorik/Trainingsdaten verfügen, kann das Konzept mithilfe von Generalisierungstechniken übertragen bzw. implementiert werden.
Neue Störfaktoren in der Produktion identifizieren
Hanwen Zhang und Gonsalves Grünert vom Werkzeugmaschinenlabor (WZL) der RWTH Aachen zeigten auf, dass eine prozesskettenübergreifende Analyse die Qualität und Nachhaltigkeit in der Produktion von Zahnrädern positiv beeinflusst. Dazu wurde analysiert, welchen Einfluss die Fertigungsdaten auf die Qualität des Zahnrads und welche Auswirkungen die Fertigungsschritte auf die Umwelt haben. Es zeigte sich, dass eine detaillierte Analyse der neu identifizierten Einflussgrössen dazu beitragen kann, Ausschuss in der Fertigung zusätzlich zu minimieren. Gleichzeitig konnten durch die ökologische Bewertung unterschiedlicher Fertigungsfolgen ca. 200 Gramm CO2e bei der Fertigung der Ritzelwelle eingespart werden.
Die Methode bietet eine innovative Möglichkeit, neben bekannten Einflussfaktoren auch bisher unbekannte Störgrössen in der Fertigung zu identifizieren. Dadurch wird eine ganzheitliche Betrachtung der Prozesskette ermöglicht, was wiederum neue Forschungsansätze zur Optimierung eröffnet. Zudem erlaubt die Methode die Überwachung der Umweltauswirkungen, um eine umweltneutrale Fertigung bei gleichbleibender Qualität zu verwirklichen. Grundsätzlich ist die Methode auf jede Fertigungsprozesskette anwendbar, die eine detaillierte Analyse der Zusammenhänge zwischen Produktionsdaten, Produktqualität und Umweltauswirkungen erfordert. Um die Umsetzbarkeit der Methode in den jeweiligen Unternehmen bewerten zu können, sollen im nächsten Schritt umfassende industrienahe Validierungsstudien durchgeführt werden.
Prozessschwankungen in Fließpressen verhindern
Nicht zuletzt analysierte Thomas Wild vom Lehrstuhl für Fertigungstechnologie (LFT) der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg den Einfluss einer fertigungsbedingten Erwärmung der Werkzeuge bei der Herstellung von Funktionsbauteilen aus Aluminiumblechwerkstoffen mittels Fliespressen. In diesen Untersuchungen konnte zunächst festgestellt werden, dass bereits eine geringfügige Temperaturerhöhung auf 80°C das Umformergebnis durch eine höhere Formfüllung beeinflusst. Für die Serienfertigung von eng tolerierten Funktionsbauteilen stellt dieser Zusammenhang folglich eine Herausforderung dar. Denn trotz instationärer Fertigungsbedingungen zu Beginn eines Fertigungsloses sollen natürlich kontinuierlich masshaltige Bauteile hergestellt werden, um Ausschuss zu vermeiden und eine höhere Materialausnutzung zu gewährleisten. Dazu ist jedoch eine genaue Kenntnis des Anlaufverhaltens des Prozesses notwendig, die in dieser Studie erarbeitet werden soll. Als mögliche Kompensationsmaßnahmen für die genannte Prozessschwankung können eine zeitliche Anpassung des Stößelweges oder ein Vorwärmen der Werkzeugaktivteile herangezogen werden.
Insgesamt hat der WGP-Jahreskongress einmal mehr gezeigt, wieviel Potenzial in den Nachwuchswissenschaftlern steckt und wie sie mit ihren innovativen Ideen eine heute noch utopisch klingende durchgehende Kreislaufwirtschaft erstaunlich schnell vorantreiben. Die erarbeiteten Ansätze versprechen einen bedeutenden Beitrag zur Förderung der Nachhaltigkeit in fertigungs- und produktionstechnischen Systemen.
Die WGP
Die WGP (Wissenschaftliche Gesellschaft für Produktionstechnik e.V.) ist ein Zusammenschluss führender deutscher Professorinnen und Professoren der Produktionswissenschaft. Sie vertritt die Belange von Forschung und Lehre gegenüber Politik, Wirtschaft und Öffentlichkeit. Die WGP vereinigt 72 Professorinnen und Professoren aus 43 Universitäts- und Fraunhofer-Instituten und steht für gut 2000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Produktionstechnik. Die Mitglieder geniessen sowohl in der deutschen Wissenschaftslandschaft als auch international eine hohe Reputation und sind weltweit vernetzt.
Die Labore der Mitglieder sind auf einem hohen technischen Stand und erlauben den WGP-Professoren, in ihren jeweiligen Themenfeldern sowohl Spitzenforschung als auch praxisorientierte Lehre zu betreiben.
Die WGP hat sich zum Ziel gesetzt, die Bedeutung der Produktion und der Produktionswissenschaft für die Gesellschaft und für den Standort Deutschland aufzuzeigen. Sie bezieht Stellung zu gesellschaftlich relevanten Themen von Industrie 4.0 über Energieeffizienz und umweltschonender sowie resilienter Produktion bis hin zu 3D-Druck.