Grüne Produkte sind so stark im Vormarsch, dass Werkstoffwissenschaftler Alarm schlagen – wie etwa bei Dauermagneten für Generatoren in Windturbinen. Sie basieren auf Metallen der Seltenen Erden wie Neodym, Praseodym und Dysprosium. Kombiniert man diese optimal, erreicht ihr Energieprodukt, das Mass für die speicherbare magnetische Energie, über 400 Kilojoule pro Kubikmeter. Das ist ein so hoher Wert, dass man Magnetsysteme, verglichen mit herkömmlichen Mag-netwerkstoffen, wesentlich kleiner gestalten oder mit erheblich höheren magnetischen Energien ausstatten kann.
Lieferengpässe scheinen unvermeidbar
Der Name «Seltene Erden» ist etwas irreführend, denn etliche der Metalle wie Neodym sind nicht wirklich selten. Sie kommen in der Erdkruste sogar häufiger vor als etwa Blei, doch sind erst wenige grössere Lagerstätten entdeckt worden. So gibt es in der Inneren Mongolei, in Westaustralien, Grönland, Kanada und den USA Vorkommen. Derzeit wird allerdings die Weltproduktion der Seltenen Erden zu 97 Prozent von China dominiert. «Da droht ein Ressourcenproblem», warnt Dr. Thomas Scheiter, Leiter des globalen Technologiefeldes «Materialsubstitution und Recycling» bei Siemens Corporate Technology (CT).
Nicht genug der Lieferschwierigkeiten bei Neodym: Mit einem Anteil von 4 Prozent verleiht das silbergraue Schwermetall Dyspro-sium den Magneten eine Temperaturstabilität, wie sie etwa in Windenergieanlagen erforderlich ist. Doch Dysprosium findet man in den Lagerstätten nur in geringen Mengen. Da man alternative Vorkommen wohl erst in einigen Jahren erschliessen kann, sind Lieferengpässe fast unvermeidlich.
Starke Abhängigkeit wegen guten Eigenschaften
Der Kern des Problems liegt darin, dass viele Hightechprodukte wie Elektromotoren, Handys, Laser oder LCD-Fernseher derzeit noch auf Seltene Erden angewiesen sind. Die Einführung von Energiesparlampen, deren Leuchtstoffe ebenfalls Seltene Erden benötigen, hat die Nachfrage weiter verstärkt. «Wegen der guten Eigenschaften dieser Stoffe sind neue Produkte entwickelt worden, die den Markt nochmals angeheizt haben», erläutert Dr. Ulrich Bast, zuständig für Technologie-innovation bei CT in München.
Leistungsfähige Permanentmagnete (fast) ohne Seltene Erden
All dies führt dazu, dass der Bedarf an Seltenen Erden stetig steigen wird. Hinzu kommt, dass China selbst zukünftig verstärkt auf die eigenen Ressourcen zurückgreifen wird. Siemens widmet sich der neuen Herausforderung im Rahmen eines Leuchtturmprojekts: Die Forscher um Thomas Scheiter stellen anhand von Statuserhebungen zunächst fest, welche Materialien im Unternehmen in welcher Menge verwendet werden. Auf Basis aktueller Marktdaten wird dann ermittelt, ob es Rohstoffe gibt, die sie im Hinblick auf ihre Verfügbarkeit als kritisch betrachten sollten. Falls ja, sind die rund 200 Materialwissenschaftler bei CT gefordert, technologische Alternativen zu entwickeln.
Dysprosium nur entlang der Kristallitgrenzen
«Um etwa Dysprosium effizienter als bisher zu nutzen, wollen wir es künftig nicht mehr im gesamten Material verteilen, sondern eine Struktur schaffen, bei der dieses Element nur an den Kristallitgrenzen von Neodym-Eisen- Bor-Magneten angereichert ist», erläutert Rieger. Dies lässt sich erreichen, indem man eine dünne Dysprosium-Schicht auf den fertigen Magneten aufbringt und diese durch Temperaturbehandlung entlang der Korngrenzen ins Innere eindiffundiert. Dadurch reduziere sich der Verbrauch drastisch, wobei die Eigenschaften gleich bleiben oder sich sogar verbessern würden.
Zurück in die Eisenzeit
Andere Konzepte sehen vor, Motoren gänzlich ohne Seltene Erden zu entwerfen. Es existieren bereits Dauermagnete auf Basis von Eisenoxiden mit Zusätzen von anderen Oxiden.
Das Problem: Diese gesinterten Keramikmagnete weisen ohne weitere Vorbehandlung zunächst im Durchschnitt ein um den Faktor 10 kleineres Energieprodukt auf als Selten-Erd-Magnete. Sie sind daher in vielen Motor- und Generatoranwendungen nicht einsetzbar.
Um trotzdem ohne Seltene Erden auszukommen, arbeitet ein Siemens-Team an einem neuartigen Material auf Basis einer Eisen-Kobalt-Verbindung, in der nanometerkleine mag-netische Stäbchen wie an einer Perlenschnur aufgereiht in einer Matrix fixiert sind. «Aus solchen Nanostrukturen könnten wir gezielt einen optimierten Dauermagneten herstellen und längerfristig eine Alternative zu Seltenen Erden schaffen», glaubt Rieger. Bei Siemens in München gibt es bereits einen ersten Laboraufbau, um derartige neue Magnetwerkstoffe zu synthetisieren und zu untersuchen. Ist das ein Zurückrudern in die «Eisenzeit»? «Im Prinzip ist Eisen ein hervorragender Mag-netwerkstoff», argumentiert der Experte. Ob das Energieprodukt dieser Werkstoffe einmal an das der Selten-Erd-Magnete heranreichen oder dieses gar übertreffen könnte, ist noch nicht absehbar.
Recycling der Magnete als Alternative
Eine weitere Möglichkeit des nachhaltigen Umgangs mit Seltenen Erden ist das Recycling dieser Materialien aus Elektromotoren. Doch stehen hierfür noch keine Verfahren zur Verfügung. Vielmehr kommen Motoren gewöhnlich in den Schmelzofen. «Man verwendet das Material zwar wieder, aber Seltene Erden vermischen sich mit dem Rest und gehen einfach unter», beklagt Bast. Daher sind die Siemens-Forscher daran, ein Verfahren zu entwickeln, das bei der Demontage der Magnete aus den Motoren beginnt und verschiedene Stufen der Wiederaufarbeitung beinhaltet.
«Im einfachsten Fall baut man Magnete aus einem alten Motor aus und in einen neuen wieder ein», sagt Bast. Das werde aber nicht immer funktionieren, weil die Magnete meist nicht passen. Man arbeitet deshalb daran, die Produkte von Anfang an so zu konstruieren, dass man beim Recycling ohne grosse Probleme die Permanentmagnete aus dem Motor separieren kann. Weiter gibt es auch die Bestrebungen, Prozesse zu entwickeln, um Magnetmaterialien aus Schmelzen in einer Schlacke gezielt anzureichern und aus dieser Seltene Erden zurückzugewinnen.
Engpässe und Preisanstieg auch bei anderen Metallen
Auch wenn Seltene Erden unter den kritischen Rohstoffen derzeit die höchste Priorität haben, geben noch weitere Materialien Anlass zur Sorge. «Auch die besonders widerstandsfähigen Refraktärmetalle sind wegen möglicher Lieferengpässe problematisch», so Liepold. Dazu gehörten etwa Niob, Wolfram und Molybdän, die in Röntgenröhren, Schaltern und weiteren Anwendungen enthalten sind.
Bei diesen Metallen ist eine hohe Hitzebeständigkeit gefordert, gleichzeitig wird aber noch eine gewisse Formbarkeit und Leitfähigkeit abverlangt. Liepold: «Eine pauschale Lösung des Problems wird es sicher nicht geben, vielmehr wird man genau schauen müssen, für welches Material es welche Alternativen gibt».
Kunststoffe ohne Erdöl
Und schliesslich erforscht Siemens auch Wege, Kunststoffe aus nachhaltigeren Quellen als Erdöl zu erzeugen. Das Unternehmen untersucht nachwachsende Biopolymere, die sich aus Rizinuspflanzen oder anderen Ölfrüchten gewinnen lassen. Bei Siemens werden herkömmliche thermoplastische Polymere zum Beispiel für Spezialleuchten, medizintechnische Anwendungen und für Sortierkörbe der Postautomatisierung verwendet. Für Liepold ist der Ersatz dieser Polymere durch Biokunststoffe nur ein konsequenter Schritt in die Zukunft: «Als grünes Unternehmen müssen wir auf das Thema Rohstoffe besonderes Augenmerk legen», sagt die Expertin.
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